(VOVWORLD) - Das Europäische Parlament hat am Mittwoch den Plan der Europäischen Kommission gebilligt, die Einfuhr von russischem Erdgas bis Ende 2027 vollständig zu beenden. Dies gilt als ein besonders ambitionierter Schritt in der langfristigen Strategie der EU, energiepolitisch vollständig von Russland zu trennen.
Der Beschluss wurde vom Europäischen Parlament mit 500 Ja-Stimmen, 120 Nein-Stimmen und 32 Enthaltungen angenommen.
Vollständiger Ausstieg
Nach dem verabschiedeten Plan sollen die Importe von russischem Flüssigerdgas (LNG) schrittweise bis spätestens 31. Dezember 2026 eingestellt werden, während Gaslieferungen über Pipelines bis zum 30. September 2027 auslaufen sollen. EU-Mitgliedstaaten können in Ausnahmefällen eine Fristverlängerung bis zum 31. Oktober 2027 beantragen, wenn ihre Gasspeicher unter die vorgeschriebenen Füllstände fallen.
Sollten Mitgliedstaaten Schwierigkeiten haben, ihre verpflichtenden Speicherstände zu erreichen, würde das Importverbot für Pipeline-Gas erst ab dem 1. November 2027 gelten.
Änderungen bestehender Verträge dürfen weder zu höheren Mengen noch zu höheren Preisen führen. Spätestens im November 2027 soll die EU damit vollständig auf russische Gasimporte verzichten. Zwar bedarf das Importverbot noch der formellen Bestätigung auf der Konferenz der EU-Ministerebene, die voraussichtlich Anfang 2026 stattfinden wird, doch gilt dies als reine Formalität. Mit der Zustimmung des Europäischen Parlaments sind die letzten rechtlichen Hürden beseitigt. EU-Energiekommissar Dan Jørgensen erklärt:
„Worauf ich vielleicht am stolzesten bin, ist, dass diese Entscheidung nicht vorübergehend ist. Es geht nicht darum, alle sechs Monate neu zu prüfen und bei wirtschaftlichen Erwägungen wieder mit Gasimporten aus Russland zu beginnen. Das ist ein klares Nein – und ein Nie wieder. Wir dürfen die Fehler der Vergangenheit nicht wiederholen.“
Nach Angaben der Europäischen Kommission haben die EU-Staaten seit Beginn des Russland-Ukraine-Konfliktes im Februar 2022 rund 254 Milliarden US-Dollar für russische Energieimporte ausgegeben und zahlen derzeit noch etwa 47 Millionen US-Dollar pro Tag. Dieser Betrag übersteige die EU-Hilfen für die Ukraine deutlich. Das sei für EU-Spitzenvertreter inakzeptabel.
Die Herausforderungen
Der vollständige Bruch mit Russland im Energiesektor wird von vielen EU-Vertretern als ein historischer Fortschritt bewertet, insbesondere vor dem Hintergrund, dass lange Zweifel an der Umsetzbarkeit bestanden. Tatsächlich konnte die EU den Anteil vom russischen Erdgas an ihren Importen von 45 Prozent im Februar 2022 auf etwa 13 Prozent heutzutage senken. Die Abhängigkeit von russischem Rohöl sank von 26 auf 2 Prozent, von Kohlen von 51 auf 0 Prozent.
Dennoch bleibt der vollständige Verzicht auf russische Energie eine große Herausforderung. Ein zentrales Problem sind die unterschiedlichen Interessen der Mitgliedstaaten. Länder wie die Slowakei und Ungarn sind weiterhin stark von russischer Energie abhängig und sehen sich aufgrund vertraglicher und geografischer Zwänge nicht in der Lage, ihre Versorgung kurzfristig zu diversifizieren. Sie lehnen das Importverbot daher entschieden ab. Dazu der slowakische Ministerpräsident Robert Fico:
„Wir werden die Möglichkeit einer Klage prüfen. Alles hängt davon ab, wie die Europäische Kommission ihre Verpflichtungen gegenüber der Slowakei erfüllt. Ich möchte daran erinnern, dass die Slowakei gegen die Beendigung dieser Gaslieferungen gestimmt hat. Meiner Ansicht nach verletzt diese Entscheidung, die eigentlich Einstimmigkeit erfordert, aber nur mit Mehrheitsbeschluss gefasst wurde, die grundlegenden Prinzipien der EU.“
Der vollständige Ausstieg aus russischer Energie erfordert zudem enge Koordination, hohe Investitionen in die Energieinfrastruktur, eine Diversifizierung der Lieferquellen sowie einen beschleunigten Ausbau erneuerbarer Energien. Ziel ist es, die Versorgungssicherheit zu gewährleisten, ohne wirtschaftliche Verwerfungen auszulösen.
Derzeit zählen Norwegen, die USA und Algerien zu den wichtigsten Gaslieferanten der EU, doch alle stoßen an Grenzen. Nach Einschätzung von Tatiana Mindekova, Beraterin für EU-Energiepolitik der Energie-Denkfabrik Ember, gibt es derzeit keinen Lieferanten, der russische Erdgas-Lieferanten vollständig ersetzen kann.