(VOVWORLD) - Genau vor 50 Jahren am 30. April 1975 hat die Flagge der Befreiungsarmee auf dem Dach des Unabhängigkeitspalastes in Saigon, dem heutigen Ho-Chi-Minh-Stadt, geweht und den vollständigen Sieg der Ho-Chi-Minh-Kampagne und die Wiedervereinigung des Landes markiert. Zum 50. Jahrestag der Befreiung Südvietnams und der Wiedervereinigung des Landes möchten wir Ihnen eine Sondersendung mit dem Thema „Der Weg zum Frieden“ präsentieren.
Die Karte des vereinten Vietnams
Anfang April haben wir in einem kleinen Haus in der Tho-Lao-Straße in Hanoi den Maler Cao Trong Thiem getroffen, der bereits über 80 Jahre alt ist. Er hat 1976 die Karte des vereinten Vietnams gezeichnet, die anschließend in der Sonderausgabe der Volkszeitung Nhan Dan zum Dienen der ersten Parlamentswahl nach der Befreiung veröffentlicht wurde.
Die Karte des vereinten Vietnams aus dem Jahr 1976 in der Sonderausgabe der Volkszeitung Nhan Dan. (Foto: Volkszeitung Nhan Dan) |
Der Maler geht langsam auf den Schrank in der Ecke des Raumes zu und holt eine vergilbte Zeitung mit einer Karte des vereinten Vietnam heraus.
Bei einer Tasse Tee betrachtete das alte Künstlerpaar gemeinsam die rote Landkarte mit der Aufschrift „Vietnam ist eins, das vietnamesische Volk ist eins“.
“Es gab viele Karten, aber warum hat mich die Volkszeitung Nhan Dan gebeten, eine neue Karte für ihre Sonderausgabe zu zeichnen? Mit dieser Karte wollte die Zeitung den offiziellen Status der Grenzen und der Souveränität Vietnams bestätigen.“
Der Maler Cao Trong Thiem war von dem Angebot überrascht. Darüber freute er sich aber auch sehr.
„Ich hatte nur 24 Stunden Zeit, um die Karte fertigzustellen. Ich musste den ganzen Tag und die ganze Nacht zeichnen, um es drucken zu können. Ich war sehr glücklich, weil diese Aufgabe sehr wichtig war und ich versuchte zu zeigen, dass das vietnamesische Volk eins ist und dass Vietnam eins ist. Wir mussten Opfer bringen, kämpfen, wie viele Menschen gestorben sind, um den heutigen Tag zu erreichen. Um heute Frieden zu haben, mussten viele Menschen Opfer bringen.“
Auf der Karte hat der Maler Orte sowie die Grenze sorgfältig und klar gezeichnet. Insbesondere die Inselgruppen Truong Sa, Hoang Sa und Tho Chu werden vom Maler hervorgehoben, um die Souveränität Vietnams zu bekräftigen.
„Als ich diese Karte zeichnete, zeigte ich deutlich, dass Vietnam eine vereinte Nation ist. Auf der Karte sind 38 Provinzen und Städte dargestellt. Die Land- und Seegrenzen sind zur einfachen Erkennung hervorgehoben, insbesondere die Inselgruppen Hoang Sa und Truong Sa sowie die Insel Tho Chu.“
Maler Cao Trong Thiem (r.). (Foto: Volkszeitung Nhan Dan) |
Fast ein halbes Jahrhundert ist vergangen. Die Zeitung mit der Karte des vereinten Vietnams wird von der Familie des Malers Cao Trong Thiem immer noch sorgfältig aufbewahrt.
Vietnam ist eins, das vietnamesische Volk ist eins.
Damit der Maler Cao Trong Thiem und viele andere Maler Karten des vereinten Vietnams zeichnen konnten, haben während des 21 Jahre dauernden Widerstandskrieges von 1954 bis1975 Millionen vietnamesischer Soldaten und Menschen auf allen Schlachtfeldern, von Nord bis Süd tapfer gekämpft und Opfer gebracht.
Tran Thi Hoa (2.v.r.) beim Treffen mit ehemaligen weiblichen Revolutionsgefangenen am 28. Februar 2025 in Ho-Chi-Minh-Stadt. (Foto: hoilhpn.org.vn) |
Tran Thi Hoa lebt derzeit in der südvietnamesischen Provinz Dong Nai. Sie ist eine von Tausenden ehemaligen weiblichen Häftlingen, die in brutalen feindlichen Gefängnissen wie Con Dao, Phu Quoc und Phu Tai eingesperrt und gefoltert wurden. Hoa zufolge kann nicht jede Einzelperson Geschichte schreiben. Die Solidarität und der Patriotismus hätten der Nation den Sieg gebracht, sagte sie.
„Damals waren wir junge Männer und Frauen in den besten Jahren, mit starkem Willen und leidenschaftlichem Patriotismus. Wir kämpften nicht, um Helden zu sein. Wir widmeten uns dem Vaterland im Namen unserer gefallenen Kameraden.“
„Das Vertrauen der Menschen hilft uns, in jeder Situation zu kämpfen, egal wie hart sie ist. Für uns politische Gefangene ist nichts mit dem Stolz vergleichbar, für die Unabhängigkeit und Freiheit unseres Landes zu kämpfen.“
Der Brief von drei gefallenen Soldaten Le Hoang Vu, Nguyen Chi und Tran Viet Dung. (Archivfoto) |
Nicht nur die Lebenden, sondern auch die Soldaten glaubten vor ihrem Opfer stets fest an den Tag des totalen Sieges und an den Frieden des Landes. Im Jahr 1966 schrieben drei Soldaten des Binh Gia-Regiments abwechselnd „Briefe an die Lebenden“. Dann sind sie gefallen. 18 Jahre später wurde der Brief im Jahr 1984 neben den Überresten von drei Soldaten im oberen Teil des Flusses Dong Nai in der Provinz Binh Duong gefunden. Im Brief heißt es:
Wenn wir fünf oder zehn Jahre später entdeckt werden, möchten wir den Lebenden, die im wahrsten Sinne des Wortes in einem glorreichen Zeitalter leben, unsere tiefe Dankbarkeit übermitteln, weil Sie dafür sorgen, dass unser Tod seine volle Bedeutung behält. Sie arbeiten selbstlos, so wie wir selbstlos gekämpft haben, damit unser Land immer schöner wird, unser Volk immer wohlhabender und glücklicher wird und unsere Gesellschaft immer demokratischer und gerechter wird.
Sie, die Überlebenden und die heldenhaften gefallenen Soldaten, haben Stärke und ein Epos in der Geschichte des Kampfes um die nationale Befreiung und den Schutz des Landes geschaffen. So bekräftigte KPV-Generalsekretär To Lam beim Treffen mit alten Revolutionären und Menschen mit verdienstvollen Leistungen in Südvietnam im vergangenen 21. April:
KPV-Generalsekretär To Lam redet bei einem Treffen mit Revolutionsveteranen anlässlich des 50. Jahrestages der Befreiung des Südens und der Wiedervereinigung des Landes am 21. April in Ho-Chi-Minh-Stadt. |
„Kein literarisches Werk kann die Größe der vietnamesischen Nation, des vietnamesischen Volkes und der Soldaten von Onkel Ho in den beiden heiligen Widerstandskriegen der Nation vollständig widerspiegeln. Kein Kunstwerk kann den großen Willen und die Stärke des vietnamesischen Volkes in seinem Bestreben „Vietnam ist eins, das vietnamesische Volk ist eins“ vollständig zum Ausdruck bringen. Das vietnamesische Volk ging als Sieger aus dem Krieg zur Verteidigung des Landes hervor, wurde zum „Gewissen und Lebensgrund“ vieler Länder, die für die nationale Befreiung kämpften, und wurde zu einem Symbol der Zeit.“
Das Land ist heute friedlich und frei. Der mit dem Blut und den Knochen früherer Generationen errichtete Frieden wird eine solide Grundlage für wirtschaftliche Entwicklung, sozialen Fortschritt und Wohlstand des Landes bilden.
Stärke Änderungen
Als Vietnam 1975 wiedervereinigt worden war, äußerten ausländische Journalisten die Meinung, dass das Land mindestens 100 Jahre benötigen würde, um eine bedeutende Stellung in der Welt einzunehmen. Doch in Wirklichkeit hat Vietnam nur 50 Jahre gebraucht, um sich eindrucksvoll in den Bereichen Diplomatie, Wirtschaft und friedliche Entwicklung zu transformieren.
Vietnam wird international als eine „Erfolgsgeschichte“ der Entwicklung anerkannt. (Foto: VOV) |
Der französische Journalist Alain Thomas, der Vietnam seit Anfang der 2000er Jahre mehrfach besucht hat, zeigt sich tief beeindruckt vom starken gesellschaftlichen Wandel in diesem kleinen, aber unbeugsamen Land.
Seiner Meinung nach markierte der Moment vor genau 50 Jahren, als ein vietnamesischer Panzer das Tor des Unabhängigkeitspalastes durchbrach, das Ende jahrzehntelanger Fremdbestimmung. Es war der vollständige Sieg eines Volkes, das bereits 1945 unter der Führung von Präsident Ho Chi Minh seine Unabhängigkeit erklärt hatte. Dies sei der Augenblick gewesen, in dem das vietnamesische Volk begann, selbst über sein politisches und wirtschaftliches Schicksal zu bestimmen, so Thomas.
„Vietnam ist ein lebendiger Beweis dafür, dass ein kleines Volk scheinbar unbesiegbare Mächte besiegen kann und heute auf dem Weg ist, eine asiatische Wirtschaftsmacht zu werden.“
Journalist Alain Thomas. (Foto: Huong Giang/VNA) |
Alain Thomas betont besonders den Aufstieg der städtischen Mittelschicht mit spürbar wachsendem Lebensstandard und einer stark zunehmenden Inlandsnachfrage, begleitet vom Boom auf dem Immobilienmarkt.
Er würdigt die tiefe Bildungsorientierung der Vietnamesen und sieht in deren Fleiß, Disziplin und Ernsthaftigkeit beim Lernen und Arbeiten ein enormes Potenzial für Vietnams Aufstieg im Zeitalter der globalen Wirtschaft. Zudem äußert er seine Bewunderung für die stabile politische und soziale Lage Vietnams in den vergangenen 50 Jahren.
„Es gibt keine großen Unruhen und keine tiefgreifenden sozialen Konflikte. Das ist ein entscheidender Faktor, der Vietnam das Selbstvertrauen gibt, in eine Zukunft voller technologischer und globaler Herausforderungen zu blicken.“
Er ist überzeugt, dass die Vietnamesen ein Volk sind, das bereits gegen ausländische Großmächte gesiegt hat. Dieser Geist bleibe tief im kollektiven Bewusstsein verankert. Es seien genau dieser Mut, dieser Zusammenhalt und dieser unbeugsame Wille, die Vietnam auch in Zukunft über weitere Herausforderungen hinweghelfen werden.
Craig McNamara stellt im Museum für vietnamesische Militärgeschichte das Buch „Because our fathers lied“ vor. (Foto: My Hanh/qdnd.vn) |
Das 50-jährige Jubiläum der Befreiung des Südens unterstreicht einmal mehr den Wert von Unabhängigkeit, Freiheit und einer friedlichen Umgebung für die nationale Entwicklung. Ein halbes Jahrhundert nach dem Sieg sind die Beziehungen zwischen Vietnam und den USA zu einem weltweiten Vorbild für Versöhnung und Kooperation geworden, vom Kontrahenten zum umfassenden Partner.
Anfang März dieses Jahres kam Craig McNamara nach Vietnam. Er ist der Sohn des ehemaligen US-Verteidigungsministers Robert McNamara, der Architekt des Vietnamkriegs.
Während einer Veranstaltung im Militärhistorischen Museum Vietnams trug Craig McNamara zwei Ansteckpins mit den Nationalflaggen der USA und Vietnams, nebeneinander am Revers seiner Jacke, als ein Symbol der Versöhnung.
„Ich habe das Museum besucht, und was mir am meisten in Erinnerung bleibt, sind die verpassten Gelegenheiten zum Frieden. Genau deshalb bin ich heute hier, um zu diskutieren, um zu lernen, was unsere Vorfahren erlebt haben. Der Besuch im Militärhistorischen Museum hat mich tief inspiriert.“
Craig McNamara auf dem nationalen Soldatenfriedhof Truong Son in der zentralvietnamesischen Provinz Quang Tri. (Foto: Privat) |
Während seines einwöchigen Aufenthalts reiste Craig McNamara durch sechs Städte und Provinzen und besuchte Orte, die mit seinem Vater während des Krieges verbunden waren. Es war der Strand von Danang, die elektronischen Zäune „McNamara-Linie“, der Flughafen Ta Con, die Basis B1 Hong Phuoc und Ia Drang. Auch der Soldatenfriedhof Truong Son und das Dorf Son My, der Schauplatz des My-Lai-Massakers, standen auf dem Programm.
Im Truong Son-Friedhof zündete er Räucherstäbchen an den Gräbern von Hunderten von gefallenen Soldaten an und hielt vor dem Grab eines Gefallenen inne, der 1950 ums Leben kam. McNamara weinte. Es war derselbe Tag, an dem er selbst geboren wurde.
„General Giap sagte einst zu meinem Vater: „Sie verstehen unsere Kultur nicht.“ Ich bedaure, dass mein Vater nie nach Vietnam kam, um die tausendjährige Geschichte, die Menschen, die Sehnsucht nach Einheit zu verstehen. Mein junges Leben war vom Vietnamkrieg geprägt. Dieses Mal komme ich hierher, um zur Zukunft beider Länder beizutragen.“
Craig McNamara und die vietnamesischen Veteranen. (Foto: Privat) |
Craig McNamara erklärte, er wolle den Rest seines Lebens der Beseitigung der Kriegsfolgen in Vietnam widmen, darunter auch den Spätfolgen von Dioxin. Dieser Giftstoff wurde im Krieg in Vietnam versprüht, auf Befehl seines Vaters während der achtjährigen Amtszeit als US-Verteidigungsminister.
Er kündigte die Veröffentlichung der vietnamesischen Übersetzung seines Buches „Because Our Fathers Lied – A Memoir of Truth and Family, from Vietnam to Today“ an. Das Buch dokumentiert seinen Weg vom Sohn eines Kriegsplaners hin zu einem engagierten Kriegsgegner.
Der 30. April 2025 markiert das halbe Jahrhundert seit der Wiedervereinigung des Landes. Der Sieg vom 30. April 1975 beendete nicht nur einen jahrzehntelangen Kampf um Unabhängigkeit, sondern legte auch das Fundament für Vietnams Aufstieg auf der internationalen Bühne. Der Weg zum Frieden war von Entbehrungen und Prüfungen geprägt. Doch das vietnamesische Volk hat ihn beschritten, um Unabhängigkeit, Freiheit und Glückseligkeit zu erreichen.